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Die Fragen der Wände und die Antworten darauf
von Johannes Stahl
Die Bibel erzählt, dass Gott in Babylon einmal auf die Wand geschrieben hat, als es um die eher negative Bewertung von Nebukadnezar ging. Von Nebukadnezar wiederum nimmt man an, dass zu seiner Zeit Bauinschriften zu seinem Ruhm an Ishtar-Tor angebracht wurden. Es ist immer eine spannende Frage, wann, wer und warum auf Wände schreibt, zeichnet oder malt. Das gilt übergreifend für viele Kulturen, und ebenso ließe sich ein Wechselverhältnis durch die Geschichte verfolgen: auf der einen Seite die beauftragte Gestaltung der offiziellen Lesart und andererseits die selbst autorisierte Nutzung der Wand. Anders gesagt: die Tendenz, einen politischen oder ästhetischen Konsens herzustellen oder das zumindest zu behaupten und der Einspruch gegen dieses Ansinnen, motiviert durch den Wunsch, selbst auch in dieser Welt vorzukommen oder schlicht weil man gerade hier eine eigene Meinung äußern möchte.
Mauern sind keineswegs neutrale Orte. Sie trennen zwischen öffentlich zugänglich und privat, ihre Oberflächen bilden in aller Regel Barrieren für die freie Sicht, ihr Material erfüllt tragende, dämmende, schützende oder ausschließende Funktion. Vor allem dann wenn man sich auf der falschen Seite sieht, liegt es nahe sie als Mittel des Zwangs wahrzunehmen. Solche Sichtweisen kommen dann besonders häufig vor, wenn Machtfragen öffentlich gestellt werden und der gesellschaftliche oder ästhetische Konsens diskutiert wird. Historisch lässt sich das für die französische oder russische Revolution nachvollziehen, für die Studentenunruhen der 1960er, den deutschen Herbst Mitte der 1970er Jahre, die Wende im Iran 1979, das literarisch vorgemerkte Jahr 1984 oder für den Fall der Mauer 1989. Dazu kommt nahezu durchgehend die Diskussion um Immobilienspekulationen und Hausbesetzungen („Häuserkampf“ nannte man es, mit durchaus bewussten Anklängen an Kriegsgeschehnisse).
Das Kölner Mikroklima spiegelt – bei aller oft und gern behaupteten kölschen Besonderheit – solche weltpolitischen Vorgänge an den Wänden. Wer in den 1980ern in der Domstadt entlang streifte, sah genau, was weltpolitisch aktuell war: NATO-Nachrüstung im kalten Krieg, Auseinandersetzungen um die Zukunft der ehemaligen Stollwerck-Fabrik, das Fanal von Tschernobyl. Selbst der Eroberungsfeldzug der Werbeindustrie im öffentlichen Raum, den man oft erst im mittelfristigen Vergleich von Fotos wahrnehmen kann, er war in ausgesuchten Fällen bereits Thema an den Wänden.
Stollwerck, Köln 1985. Foto von J. Stahl
Ein besonderer Schauplatz für die Fragen der Wände war die Stollwerck-Fabrik. Immerhin war sie in den späten 1970ern besetzt worden, alternative Nutzung des Raums stand dort als Modell gegen die städtische Planung traditionellen Wohnungsbaus, die Bildwelten von Punks, Künstler:innen und Ökos gegen die Vorstellung von Denkmalpflege, Teilabriss und wertigem innerstädtischen Wohnraum. Der gefundene Kompromiss schmeckte ein wenig bitter: Räumung des Geländes, Umsiedlung der Künstler:innen, weitgehender Abriss, Neubau (nach städtischen Vorstellungen, nicht gerade alternativ), offizielle Dokumentation der alternativen Bildwelten an der Wand durch die Denkmalpflege vor dem Abriss, Einrichtung des Bürgerhaus Stollwerck.
Dass solche Merkposten aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden, hat auch damit zu tun, dass die in Köln zu Beginn der 1980er noch vorherrschende Bildkultur aus zeichnerischen Gesten auf der Wand und Spruchkultur zurück gedrängt wurde. Pieces nach amerikanischer Prägung verbreiteten sich seit etwa Mitte der 1980er Jahre rasend schnell. Die mediale Verstärkung über Zeitschriften, Bücher, Filme und Videos erzeugte eine neue und griffige Vorstellung von dem, was „Graffiti“ sind. Wie attraktiv dieser gesamte kulturelle Komplex des Hip Hop war, kann nachvollziehen, wer sich Werbung ausder Mitte der 1980er Jahren ansieht. Dazu trägt nicht nur die Einbindung von Breakdanceund Rap bei, sondern auch, dass Pieces als Stil und als Jugendkultur vermarktbar sind, was für individuelle Zeichnungs-Handschriften oder politische Botschaften deutlich schwerer fällt.
In der Auseinandersetzung mit der Wand stellen sich gestalterisch grundlegende Fragen.
Wer sie als bloßen Malgrund nutzt und flächig zudeckt, negiert die Wand gewissermaßen,verleiht ihr eine neue Identität. Dass diese Welt trügerisch sein kann, hat immer schon die Wandmalerei beflügelt: Illusionistische Effekte, surreale Welten stark wirksame Farbflächen haben viele Auftraggeber dazu gebracht, hier ihre eigene Sicht der Dinge in Form bringen zu lassen. Die Gefahr besteht, dass Künstler:innen dann zu Illustratoren offizieller Sichtweisen werden oder zumindest diese durch Traumwelten weichspülen. Gerade in repressiven Systemen wird man sich dann in der Kunst üben müssen, bei den Bildern zwischen den Zeilen zu lesen, neben der offiziellen Propaganda oder der dekorativen Wirkung Potemkinscher Häuser, schöner starker Männer oder sonstiger glatter Verhältnisse. Welche Fernsicht im Wandbild birgt geheime Alternativen, welche Symbolik haben Ballons, Fahrzeuge, Treppen oder sich öffnende Geheimgänge gerade im Bezug auf die Mauern?
Situation mit Sprayzeichnung von Harald Naegeli und Reaktionen darauf, 1985. Foto von J. Stahl
Old school, wortwörtlich: Universität Köln, Lehrsaalgebäude. Foto von J. Stahl
Spannend werden Stellen, wo die offiziell kommissionierte Gestaltung und die wilde, selbst autorisierte Praxis aufeinander treffen. Das war bereits so, als die von Harald Naegeli unbestellt an das Portal der ehemaligen Caecilienkirche in Köln gesprühte Figur durch eine Restaurierung legitimiert wurde und sich konkurrierende Sprayer der Situationannahmen.
Da ist dann eher nach der Authentizität der Situation zu fragen. Ist die Wand, auf der da eine Botschaft zu finden ist, wirklich so vernachlässigt, wie sie scheint? Immerhin gibt es ja auch künstliche Ruinen. Nimmt die Beschriftung Bezug auf die Wand und ihr Erscheinungsbild, nutzt eventuell sogar ihre Textur, „bezeichnet“ sie die Situation?
Nicht zuletzt: an wen richtet sich der Appell der Zeichnung, des Schriftzugs und was geschieht hinter den Augen der Betrachter:innen? Augen sind ja bekanntlich Fenster zur Seele, und möglicherweise durchlässiger als Wände. Aber damit möchte ich hier nicht auch noch anfangen. Anderenorts kann man bereits Schwierigkeiten bekommen, wenn man danach fragt.
Weiterführende Quellen: Jentsch, Thunar; Riedt, Vikaso: Cologne Graffiti, Dortmund (Harenberg) 1985Stahl, Johannes: An der Wand. Graffiti zwischen Anarchie und Galerie. Cologne (Dumont) 1989
Galerie
Unser Dank gilt allen nebenstehend genannten Akteuren für ihren großen Beitrag zum Entstehen der Ausstellung und der Publikation.
Ein herzlicher Dank geht auch an Nina Lindlahr, Dr. Pouya Majdpour und Reza Nadji für die beratende Unterstützung sowie an das Kulturamt der Stadt Köln und das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen für die großzügige Förderung.
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Leila Cheraghi
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