VORHANG

Katja Nysten & Sebastian Fritzsch

16.APRIL – 06.MAI 2023

Entlang der Nähte ein Körper ohne Organ

Was noch gar nicht ganz geformt ist, schutzlos, bedürftig, wächst entlang der Nähte zum Körper ohne Organ. In den Erhebungen und Löchern der Gebilde von Katja Nysten und Sebastian Fritzsch scheinen elementare Kräfte zu wirken, die dem Leib innewohnen. Skulpturen aus rotem Samt erinnern an vorgeburtliche Wesen. Das Material ist gezeichnet von einer Geschichte und Verwendung, nun erfährt es eine neue Geburt. Im Raum entfalten die schnürenartigen Formen mit ihren glatten und rauen Oberflächen eine direkte Anziehung und Appell zur Berührung, verlockend und irritierend zugleich.

Zwischen Intuition und genauer Beobachtung nähen und modulieren Katja und Sebastian Objekte aus Samt, Filz und Leinen. Es kann eine „körperliche Entscheidung“ sein, sagt Katja, wie das Material geformt wird, weniger vom Kopf bestimmt. Die Zusammenarbeit von Katja und Sebastian ist von einem besonderen Vertrauen geprägt. Nur in diesem Vertrauen kann eine fragile Sphäre von Skulpturen entstehen, die eine Bedürftigkeit kennzeichnet, die ausgeliefert sind und hilflos. Dann kann auch ganz unerschrocken in das Material geschnitten werden, so wird die Hilflosigkeit dieser Figuren, die noch gar nicht ganz Figuren sind, nicht ausgenutzt.

Körper haben und Leib sein – diese Differenz ist hier allgegenwärtig. Steht der Leib für Anteile der Seele und die Überwindung einer Dualität zwischen Körper und Geist, so wird der Körper zum Körper ohne Organ. Deleuze entwickelt den Begriff des „organlosen Körpers“ in Anlehnung an das schizophrene Wort im Theater der Grausamkeit Antonin Artauds. Der Körper und seine Organe werden in diesem Zustand von einer Passion ergriffen. „Das Sein, das Unsinn ist, hat Zähne“, zitiert Deleuze von Artaud (Logik des Sinns, 121). Eine Affekt-Sprache bricht sich Bahn, eine Energie und emotionale Aktivität, keine Syntax und Logik. Damit sind die Sinne gefordert, nicht der Sinn. Die bezahnten, stangenartigen Gebilde, die auf Kissen gestreckt einen weichen Bogen schlagen, versperren sich einem logischen Sinn, suchen nach einem elementaren Sein in den Sinnen. Ein Appell und eine Einladung, sich darauf zu legen, ein Versprechen, nicht verletzt zu werden, wenn man denn die Verletzlichkeit der Flächen berücksichtigt, behutsam ist. Samt ist ein Material, dass diesen performativen Zugang ausweitet, wenn die Oberfläche, von Händen berührt, glänzend oder matt wird. Die verschiedenen Stoffe werden von Katja mit Nähten collagiert zu einer Komposition, die das Material jenseits seiner praktischen Verwertbarkeit spürbar macht. Ein lebendiges Gewebe ohne Gebrauchswert. Der rote Samt hat dabei eine ganz konkrete, persönliche Geschichte für Sebastian, stammt er doch aus seiner Kindheit – der rote Vorhang aus dem Elternhaus. Das Sonnenlicht hat Spuren darauf hinterlassen. Sie zeugen von Geborgenheit.

Willi Reinecke

IMPRESSIONEN

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